Manchmal bin ich in einem ganz intensiven Spagat – vielleicht ergeht es dir manchmal auch so: Ich möchte das Leben in vollen Zügen genießen, die Freude und Liebe spüren, die mir zufließen und einfach nur glücklich sein. Es gelingt mir oft und immer mehr, in diesem Seinszustand zu ruhen und ich merke, wie gut es mir tut! Und dann gibt es die Momente, in denen ich mich durch eine Reaktion in einer Situation z.B. angegriffen fühle oder von schrecklichen Ereignissen höre, im näheren Umfeld oder auch ganz weit weg und kurz zieht es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich erlebe diese Blitzsekunde von Wut, Angst, Schrecken oder „Nicht-Glauben-Wollens“ o.ä. und spüre wie es sich in mir zusammenzieht, sich die körperliche Stressreaktion sofort bemerkbar macht und ich ein paar Mal gut durchatmen muss, um wieder in den Moment und mein eigenes Fühlen zurückkommen kann.
Gleichzeitig frage ich mich manchmal, welches Recht habe ich, dieses große Glück zu genießen, im Wissen, dass es vielen Menschen sehr schlecht geht, sie persönlich in einer Krise sind oder einem größeren Krisengebiet ihr Leben meistern müssen. Müsste ich nicht auch traurig sein oder mehr Mitleid haben?
Und dann sofort die Gegenfrage: Was nutzt es, wenn ich Trübsal blase und „mit-leide“ und vor lauter Trauer und Hilflosigkeit womöglich handlungsunfähig werde? Jegliche Variante zwischen diesen Extremen natürlich ebenso möglich.
In wundervollen Gesprächen mit verschiedenen Menschen, Freund*innen und Kolleg*innen finde ich mehr und mehr zu einem Bild, das mir im Moment sehr stimmig scheint:
Es ist mein gutes Recht (manche sprechen vom „Geburtsrecht“), glücklich zu sein. Dies ist aus spiritueller Sicht unsere Heimat – die Dimension der bedingungslosen Liebe.
Und gleichzeitig, sind wir als Seele im menschlichen Körper auf dieser Welt, in diesem (Er-) Leben und konfrontiert mit all dem gut und schlecht, hell und dunkel, schön und unschön, das uns die Polarität unseres Geistes und Verstandes nun einmal bietet.
Hilfe und Unterstützung ist wichtig für diejenigen, die es brauchen. Und natürlich Mitgefühl – gleichzeitig darf und muss ich in meiner eigenen Kraft bleiben, statt ins Mit-Leiden zu gleiten. Wie soll ich sonst helfen können?
Das Negative ausblenden hilft nicht. Ein Trauma oder eine schlimme Erfahrung kann man nur überwinden, in dem man es anschaut, anerkennt und annimmt. So ist zumindest meine persönliche Erfahrung und was ich lese und in Gesprächen immer wieder höre. Ausblenden heißt, einen Anteil des Erlebten abschneiden und wegdrücken – das hilft eine Weile den Schmerz zu verdecken, aber es löst nicht das zu Grunde liegende Thema oder Problem.
So bin ich ständig in einem Auf und Ab zwischen „oben und unten“ oder einer Betrachtung der Dinge aus einer vollkommenen Liebe heraus und dem Fühlen, dass mir auch „dramatische“ Dinge widerfahren. Manchmal gleicht das einer Achterbahn-Fahrt, so ziehen diese Erfahrungen wie eine Spirale ihre Kreise und kommen auf eine Art immer mal wieder und wollen angeschaut werden.
Anschauen, lieben lernen, verzeihen. Kann das auch bei schrecklichen Ereignissen gelingen? Wie kann ich einem „Missetäter“ verzeihen? Oder mir? Wie kann ich durchlebte Situationen in meinem Leben lösen, die mich noch heute prägen, weil sich schützende Muster gebildet haben – nur das ganze blockiert inzwischen und dient mir nicht mehr?
Alles anschauen, jede Emotion und Reaktion auf den Altar legen und sezieren. Wo kommt es her? Manchmal auch im Unterbewussten herumsuchen und etwas hervorholen, das bislang nicht gesehen wurde. Anschauen, lieben lernen, verzeihen. Vor allem mir selbst. Für mein Denken und Handeln, das ich aus tiefster Überzeugung zum damaligen Zeitpunkt für völlig richtig hielt und heute manchmal nur noch schmunzeln kann. Und das nicht nur bei mir, sondern auch bei allen anderen Menschen.
Was mir hilft in diesem inneren reflektieren und aufräumen. „Erkenne, die andere Person bist du“, das erste von 5 Sutren, die es im Kundalini Yoga gibt, um diese Zeiten jetzt besser zu verstehen. (Ein Sutra ist eine Aussage, die zwei Bereiche – das Endliche und das Unendliche – zu einem Bewusstsein verwebt, das das Selbst unterstützt.)
Anders ausgedrückt: „Wenn ich das erlebt hätte, was du erlebt hast, würde ich genauso denken und handeln wie du“.
Wow. Wenn ich das mal ganz tief sacken lasse – welch eine Bedeutung! Wir alle werden durch unsere Erfahrungen geprägt! Und mit jeder Erfahrung verändert sich dieses Feld und das für jeden Menschen, für jedes Lebewesen! Wie unterschiedlich sind wir doch und wer will dann noch bewerten oder urteilen, was ist richtig und was ist falsch!
Gleichzeitig gibt es da diese hochfrequente Energie der Liebe, des Friedens und der Vergebung. Durch sie kann ich immer wieder aus dem „Drama des Lebens“ eine andere Brille aufsetzen und Luft holen, meinen Kompass wieder justieren und weiter voranschreiten. Dabei glaube ich, dass es so etwas wie eine gemeinsame Ethik gibt, die eine Richtschnur für uns alle sein kann. (Die 10 Gebote im christlichen Glauben, ähnliche Gebote im Koran, spezielle moralische Verhaltensregeln im Buddhismus, die Yamas und Niyamas nach Patanjali, etc.).
Gestern las ich von einem Ereignis, das 2005 in den USA durch die Presse ging, das mich sehr bewegt hat:
Eine 44-jährige Frau wurde im Auto durch den Wurf eines gefrorenen 10kg-Truthans auf die Windschutzscheibe lebensgefährlich verletzt. Ein paar Jungs hatte dies getan, ohne darüber nachzudenken – nur für den Kick dieses Momentes.
Diese Frau hatte schwerste Verletzungen, einen jahrelangen Weg von Operationen und medizinischen Eingriffen vor sich.
UND sie hat für den 19-jährigen Täter Strafminderung erwirkt – 5 Monate Dienst in einem Gefängnis und eine 5 jährige Bewährungsstrafe – er wäre sonst für bis zu 25 Jahre ins Gefängnis gekommen!
Laut Bericht der New York Times ging der Jugendliche an einem der Gerichtsage auf die Frau zu und flüsterte unter Tränen eine Entschuldigung. Ihre Antwort: „Es ist okay, ich möchte nur, dass Sie das Bestmögliche aus Ihrem Leben machen“.
Mir liefen die Tränen beim Lesen, als ich die Geschichte heute erzählte und jetzt beim Schreiben wieder.
Würde ich in einer solchen Situation auch so handeln können? Ich möchte es ehrlicherweise nicht erleben, aber ich wünschte, ich könnte es dann.
Wir bekommen zurück, was wir aussenden, das „Gesetz der Resonanz oder der Anziehung“. Wenn ich also Groll und Wut und Ärger weitergebe, schade ich am Ende nur mir selbst. Und wie schnell bin ich dabei zu wiederholen, was in den Medien oder in Unterhaltungen bewertet, geurteilt und an Negativität ausgesendet wird.
Umgekehrt – wenn ich Liebe und Freundlichkeit aussende, kommt dies eben auch zu einem Vielfachen zurück.
Es ist meine Entscheidung!
Ich bleibe dran und übe jeden Tag, jeden Moment und übe, mir zu verzeihen, wenn es mir auch mal wieder nicht gelingt.
Meine spirituelle Praxis, das Lesen von entsprechender Literatur, Meditation, Yoga und Klang erheben und begleiten mich auf diesem Weg.
Und ich sitze immer mal wieder auf der Bank (oder in der Hängematte) – und genieße das Leben!